STATEMENT DER REGISSEURIN

Erst kam die Rütli-Schule. Dann setzte Buck mit KNALLHART einen drauf, dann kam ein knallharter Mord. Eifrig schrieben die Medien und Schäuble ließ sich gar dazu hinreißen, in einem Interview zu sagen, dass es in Deutschland bereits Slums in Großstädten gäbe: „Das sind zwar nicht ganze Stadtviertel, aber schon Teile von ihnen, etwa in Berlin-Neukölln oder in Hamburg-Billbrook.“

2005 schickten verzweifelte Lehrer der Rütli-Schule in Neukölln einen offenen Brief an den Berliner Senat, in dem sie die Schließung der Schule verlangten, da sie sich angesichts der Disziplinlosigkeit und Gewalttätigkeit der Schüler außerstande sahen, einen sinnvollen Unterricht zu veranstalten. Die Folge war ein Medienansturm auf die Rütli-Schule. Einige Reporter boten Schülern Geld für spritzige Fotos, in denen sie sich in gewalttätigen Posen mit Waffen präsentieren sollten. Der frischgebackene Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, mitgerissen von der Welle an Krisenreportagen, ließ in einem Interview in Zusammenhang mit Neukölln das Wort Slum fallen. Passend dazu brachte Detlev Buck seine erste Nicht-Komödie am 9. März 2006 in die Kinos: Knallhart. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Gregor Tessnow aus dem Jahre 2004. Darin zieht der 15-jährige Michael mit seiner Mutter aus dem reichen Zehlendorf in das sozial schwache Neukölln. Dort muss er sich erstmals mit der Realität auseinandersetzen, wie er es sich nie zu träumen gewagt hätte - knallhart eben. Eine der zentralen Szenen des Films spielt in der Hasenheide. Michael hat mittlerweile als Drogenkurier angeheuert und versteckt bei einer Polizeirazzia die Drogen, die er transportieren soll, kurzerhand in einem Fußball. Knallhart wurde auch der erste deutsche Film des Ghettogenre genannt. Am 17. März 2006 erschoss dann ein flüchtender Handtaschenräuber einen Zivilpolizisten am Eingang zum Park, wenige Schritte von der Stelle, an der Buck seine Hasenheidenszene gedreht hatte. Dass es laut Polizei keine Anhaltspunkte gab, dass der Täter mit der Drogenszene zu tun hatte, und dass sich dies dann auch bestätigte, hinderte viele Medien nicht daran, den Mord weiterhin in einem Atemzug mit der Drogenszene zu erwähnen. So zementierte sich unter anderem durch die Wechselwirkung zwischen Fiktion und Reportage die Idee von Neukölln als Slum und der Hasenheide als No-Go-Area.

2006 wohnte ich bereits seit ein paar Jahren unweit der Hasenheide, im heute von Maklern hoch angepriesenen Schillerkiez, und drehte meine täglichen Joggingrunden in der Hasenheide. Dabei wurde ich des öfteren freundlich von Dealern begrüßt, aber nie belästigt oder gar angegriffen. Ja, es stimmt, nachts würde ich nicht alleine durch die Hasenheide gehen, aber das würde ich auch in keinem anderen Park tun. Nach der Flut an Reportagen und Artikeln über Neukölln und die Hasenheide wurde ich dann des öfteren von Bekannten voller Angst gefragt, ob es denn nicht gefährlich sei, in einem solchen Bezirk zu wohnen, und ob ich denn keine Angst hätte, durch solch einen Park zu joggen. All das summierte sich und in mir reifte der Entschluss, einen Film über meinen Park zu drehen, über die Dinge, die mir wichtig sind, nämlich über die 90% des Parks, die in der Berichterstattung nicht existieren, weil Medien Schlagzeilen brauchen.

Seit dem Ende der Dreharbeiten 2008 gibt es nun einen Trend, der nicht mehr im Film berücksichtigt werden konnte. Aus der No-Go-Area, dem Slum entwickelt sich nun plötzlich eine Wohngegend für Besserverdiener. Immobilienmakler werben mit Schlagwörtern wie Kreuzkölln, der Schillerkiez, angrenzend an Hasenheide und Tempelhofer Flugfeld, wandelt sich zur hochpreisigen Wohngegend und knüpft damit an die gutbürgerliche Tradition an, die er vor 100 Jahren gehabt hat. Die Neunutzung des Tempelhofer Flugfelds soll schicke Townhouses und Großveranstaltungen wie die Bundesgartenschau in unmittelbare Nähe der Hasenheide bringen. Der Park ist von diesen Entwicklungen bislang noch unberührt, es wird aber interessant werden, inwieweit er im Zuge der Gentrifizierung Neuköllns aufgeschickt werden wird. Ob die Hasenschänke wohl bald schon Bionade statt Rixdorfer Brause, Latte Macchiato und Coffee To Go anbieten wird? Erstaunlich, wie schnell der Paradigmenwechsel der Medienberichterstattung sich vollzieht - ein wunderbares Thema für ein nächstes Filmprojekt, das sich da vor meiner Haustüre ereignet.